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Der vorgesehene Austritt Großbritanniens aus der EU und vor allem die Unsicherheit bezüglich der Rahmenbedingungen sind eine schwere Bürde für die Wirtschaft – da macht die Immobilienwirtschaft auf der Insel keine Ausnahme. Für Panik besteht jedoch kein Anlass. Selbst in einem Worst-Case-Szenario sind Turbulenzen und deutlich sinkende Erträge zu befürchten, aber kein Weltuntergang. Erst recht nicht in London.
Zwar halten sich viele Investoren mit Ankäufen von Gewerbeimmobilien im Vereinigten Königreich derzeit eher zurück. So lag das Transaktionsvolumen 2018 nach Auswertungen von Real Capital Analytics mit knapp 63 Milliarden Euro rund ein Fünftel unter dem Vorjahreswert. Die Totenglocken für den britischen gewerblichen Investmentmarkt sind das jedoch mitnichten: Erstens lag das Transaktionsvolumen über dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre, und zweitens war 2017 ein ausgesprochen gutes Jahr. Die Hürde für 2018 lag also sehr hoch. Zudem betrifft der Rückgang nicht die ganze Breite des Marktes. In London lag das Minus zum Beispiel lediglich bei vier Prozent und damit innerhalb jeder normalen Schwankungsbreite. Paris, Berlin oder Amsterdam hatten – nur zum Vergleich – weit größere Rückgänge zu verzeichnen.
Wir wissen nicht wie 2019 werden wird, und es ist müßig, in die Glaskugel zu schauen. Für die weltwirtschaftliche Entwicklung haben der Handelskonflikt zwischen China und den USA oder die hohe Verschuldung in den Schwellenländern meiner Ansicht nach ohnehin ein viel höheres Gefahrenpotenzial als der eher „regional“ zu sehende Brexit. Und dessen Auswirkungen, zum Beispiel bei den Immobilienpreisen oder Gewerbemieten, werden hauptsächlich in den bereits schwächelnden regionalen Städten zu spüren sein. London hingegen dürfte sich nach einer möglichen kurzfristigen Störung zügig wieder erholen und sich langfristig innerhalb der normalen zyklischen Schwankungen weiterentwickeln. Der Londoner Immobilienmarkt spielt nämlich in einer eigenen Liga – nicht nur in Bezug auf Großbritannien, sondern auch in Bezug auf Europa und darüber hinaus.
Kaum eine andere europäische Stadt ist derart global verflochten, sei es durch ihre weltweite Bedeutung als Finanzplatz, ihre Stellung als internationales Dienstleistungszentrum und Verkehrsknotenpunkt oder als Sitz zahlreicher bedeutender Konzerne. Diese Rolle wird keine andere Metropole absehbar übernehmen – selbst dann nicht, wenn EU-Behörden, Abteilungen einzelner Banken oder auch bestimmte Finanzgeschäfte wie das Euro-Clearing an andere EU Standorte abwandern. Sicherlich, kurz- bis mittelfristig wird der Brexit Erschütterungen auch in London mit sich bringen. Langfristig jedoch wird die britische Hauptstadt ihre herausragende
Bedeutung behalten und ihr Immobilienmarkt daher attraktiv bleiben. Für Investoren aus Asien oder Nordamerika spielt es bereits heutzutage nur eine marginale Rolle, ob London der EU angehört oder nicht.
Mit den kurzfristigen Erschütterungen indes können langfristig orientierte Bestandshalter umgehen wie mit jeder anderen zyklischen Bewegung auch: Wer finanziell solide dasteht und beispielsweise einen über die Brexit-Unwetter hinausgehenden Mietvertrag abgeschlossen hat, wird sich hüten, während der zu erwartenden Turbulenzen zu verkaufen. Diese Gelassenheit können sich natürlich nur solche Investoren leisten, die den vorangegangenen Zyklus genutzt haben, um ihr Portfolio wetterfest zu machen – zum Beispiel durch Top-Immobilien in Premiumlagen und bonitätsstarke Mieter.
Ein weiterer Aspekt: Temporäre Preisdellen bieten oftmals günstige Kaufgelegenheiten. Zwar warten die meisten Käufer und potenzielle Verkäufer nach der gescheiterten Parlamentsabstimmung Mitte Januar den weiteren Fortgang des Brexit-Dramas ab, und es sind kurzfristig nur wenige interessante Objekte am Markt. Dieser Knoten wird sich nach dem Austritt aber schnell wieder auflösen. Wer dann in der Lage ist, schnell zuzugreifen, kann unter Umständen Opportunitäten wahrnehmen. Gut möglich, dass sich der Londoner Immobilienmarkt genau dann wieder erholt, wenn der seit Jahren anhaltende Wachstumszyklus auf dem Kontinent zu kippen beginnt. Unter dem Aspekt einer Diversifikationsstrategie und im Licht der sich seit Jahren mehr oder weniger synchron entwickelnden Immobilienmärkte dürfte dies für internationale Investoren einen zusätzlichen Kaufanreiz darstellen.
Letztlich wird der Brexit weniger nachhaltigen Einfluss auf gewerbliche Immobilien in London ausüben als fundamentale, global wirkende Rahmenbedingungen. Weltweit ist dank des niedrigen Zinsniveaus der letzten Jahre weiterhin viel Liquidität auf der Suche nach Investitionsobjekten. Die konjunkturellen Aussichten mögen sich zwar eingetrübt haben, sind aber weiterhin für die meisten großen Volkswirtschaften positiv. Die Attraktivität speziell Londons lockt unverändert Zuzügler und Investoren aus dem In- und Ausland an. Dieses globale Umfeld wird sich durch den Brexit allein nicht fundamental verändern. Gleichzeitig beeinflussen gesellschaftliche Trends und technologische Entwicklungen die Attraktivität einzelner Objekte und ganzer Nutzungsarten. Für den britischen Einzelhandel beispielsweise ist der wachsende Einfluss des E-Commerce langfristig von weit größerer Bedeutung als die derzeitige Konsumschwäche im Lichte des näher rückenden Brexits.
Allerdings bedeutet diese entwarnende Haltung nicht, dass der Brexit achselzuckend auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Selbstverständlich ist das Referendum der britischen Bürgerinnen und Bürger zu respektieren. Für viel gravierender halte ich jedoch die beim Brexit-Votum deutlich gewordene gesellschaftliche und politische Spaltung, und zwar nicht nur in Großbritannien. Eine fortschreitende Polarisierung könnte sich für das Zusammenleben, das fundamentale Umfeld und damit letztlich auch für die Immobilienmärkte zu einer schwereren und nachhaltigeren Bürde entwickeln als der sehr holprig verlaufende Austrittsprozess.